Die beiden Romane Super und dir? und Hochdeutschland zeichnen ein pixelgenaues Bild von Deutschland 2018. Ein Land , das momentan zwischen schockgefrostetem Neoliberalismus und sauerkrautfurzendem Nationalismus oszilliert.
Victor ist der Protagonist in „Hochdeutschland“ von Joachim Schimmelbusch. Sein Blickwinkel ist die des neoliberalen Profiteurs in Reinkultur. Er ist Investmentbanker und hat sich auf Unternehmesübernahmen spezialisert . Kapitalakkumulation galore. Victor hält das System am laufen und seziert seine Allgorithmen mit einem Rasiermesser. Er findet es armselig wenn der Chef der Daimler AG davon schwärmt „Menschen davon träumen zu lassen, sich mit ihrem Auto auszudrücken“. Seinen elektrischen Porsche sieht er hingegen nur als „Standardprodukt seiner sozioökonomischen Gruppe, dass außer seine Zugehörig rein gar nicht über ihn aussagt“ – pragmatischer geht Kapitalimus wohl kaum. Seinen bissigen Humor generiert „Hochdeutschland“ genau aus diesem Spannungsfeld zwischen Ausübung und Analyse von Kapitalismus.
Vapiano und ein neues Manifest
Einer Übernahme der Vapino-Kette rät er nicht etwa aus finanziellen Gründen ab „Über den Ambientefaktor den zeitgeistigen Konsumenten anzulocken, der langes Anstehen vor dem Front-Cooking-System als Teil der kommunikativen Erlebnisses und dynamischen Spirits des Fresh-casual-Konzepts begriff – dieser Ansatz war Victor einfach zu menschenverachtend“. Und immer in diesen Momenten wenn Schimmelbusch unsere sinnentleerten konsumischen Rituale komplett entkernt, möchte ich am liebsten aufstehen und Szenenapplus spenden.
Aber je mehr Victor das System entlarvt, desto weiter entfernt er sich davon. Er entwirft ein antikapitalistisches Manifest, dass er seinem Kumpel überlässt. Dieser gründet eine populistische Bewegung um erster deutscher Bundeskanzler mit Migrationswurzeln zu werden. Beim Blick in die Zukunft schwächelt Schimmelbuschs Analyse etwas, aber seine Bestandsaufnahme ist ebenso schwarzhumorig, erschreckend wie präzise.
Super und Dir? von Kathrin Weßling
Victor ist natürlich geschieden und spendet seiner Tochter Victoria gern „Quality Time“. Und hier will ich direkt zu Marlene Beckmann (31) verlinken. Sie ist die Protagonisten in Kathrin Weßlings „Super und dir?“. Marlene hat die Spielregeln, die von Leuten wie Victor aufgestellt wurden vollkommen verinnerlicht. Sie hat ein einskommaeins Abi hingelegt, arbeitet bei einer „tollen“ Firma macht „was mit Sozial Media“ hat einen coolen Freund und tut alles was man als junger Mensch zu Selbstoptimierung so tut. Sport, Yoga, Chakren atmen, Koks und Ketamin konsumieren.
Über all dem steht das große Versprechen des Spätkapitalismus.. Du wirst Erfolg haben und Anerkennung ernten, wenn Du alles gibst. Wenn Du schweigst, statt zu schreien. Wenn Du lächelst, selbstbewusst bist, Probleme aus dem Weg räumst. Wenn die Angst nicht mehr zugelassen wird, weil sie einfach nicht da sein darf. Und zur Not gibt es Drogen als Helferlein. Der damit verbundene Einstieg in eine Abwärtsspirale ist im heiligen Katechismus des Neoliberalismus jedoch nicht vorgeplant.
Gläubige in Zeiten des Turbokapitalismus
Schimmelbusch lässt seinen Victor zynisch und kalt die Mechanismen gleichzeitig bedienen und analysieren. Die Protagonistin von Kathrin Weßling beobachten wir dabei, wie sie als hochmotivierte Gläubige des Turbokapitalismus von diesem langsam zermahlen wird. Ich habe beim Lesen immer das Gefühl Marlene irgendwoher zu kennen.
Ich möchte sie gern in den Arm nehmen und sagen: Mensch Mädle (bin Schwabe) du ist doch intelligent. Das Leben funktioniert ganz anders. Wie, wirst du nie ganz verstehen, aber du musst jetzt trotzdem damit anfangen es selbst zu versuchen“. „Super und dir?“ hat Humor, Wärme und ist ein wichtiger Coming Off Roman, über die Korrelation zwischen Selbstoptimierung und Selbstzerstörung. Ich werde es auf jeden Fall meiner Tochter zum Lesen geben.
„Super und dir?“ hat Humor, Wärme und ist ein wichtiger coming off Roman, über die Korrelation zwischen Selbstoptimierung und Selbstzerstörung.
Ich empfehle nun alle in den stationären Buchhandel zu gehen, beide Bücher zu kaufen und parallel zu lesen.
Eines wird beim Lesen beider Bücher klar. Das Perfide am Kapitalismus gegenüber herkömmlichen Religion ist, dass die Erlösung bereits für das Diesseits versprochen wird. Damit einher geht die Entzauberung aller Hoffnung.
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