Das Buch zum eigenen Universium „Wenzel Storch – die Filme“

Buchrezension zu „Wenzel Storch Die Filme“

Wenzel Storch Buch

Das Open-Air Kurzfilmfest in Weiterstadt war Anfang der Neunziger vor allem Nachmittags  eine sehr gemütliche Angelegenheit. Im Kommunalen Kino gab es ein kleines Programm mit Filmen im ungeliebten VHS/Betacam Format vor einem Publikum, dass ausschließlich aus Filmemachern bestand. 1990 bin etwas länger geblieben, weil ich hoffte meine Produktion „Ein Gratisbett beim lieben Gott“ noch im Open Screening zu sehen. Statt dessen entschied man sich für einen Film, in dem ein bärtiger Mann zu Musik von Pink Floyd aus der Post-Syd-Barett-Prä-Dark-Side-of-the-moon Phase durch Frankfurt lief und u.a. eine Wurst aß, die ihm zur Hälfte im Bart hängenblieb. Mehr aus Faulheit, blieb ich danach noch um mir einen  „Langfilm im Kurzfilmstil“ anzuschauen. Dazu sei gesagt, dass 90minütige Super8 Filme damals grundsätzlich James-Bond Parodien waren (ein Genre dass übrigens komplett ausgestorben ist und auf Festivals ebenso vermisst wird wie Triceraptoren). Die nächsten 90 Minuten von Wenzel „Der Glanz dieser Tage“ waren für die Kurzfilmszene dann das was die Konzerte der Sex Pistols in den Siebzigern für die Musikszene waren.

Der Urknall

Wenzel StorchDer Film gab jedem das Gefühl, daß ein gute Idee, eine Kamera, selbstgebastelte Requisiten aus Schuhkartons und das Wissen um die tiefen Zusammenhänge des Lebens dazu ausreichten ein Meisterwerk zu schaffen. Ich selbst erfand daraufhin die Zonenmadonna, den IpM-Faktor (Ideen pro Minute-Faktor) und übernahm und relaunchte ein Kurzfilmfestival (ein durchaus Seelheil rettendes Hobby). Storchs Film war trotz seiner Länge (also kein Kurzfilm) die Initialzündung für die grandiose Trash-Szene der neunziger Jahre. Inspiration für Filmemacher wie Warnix-Machtnix, den Freaks, Stefan Möckel, Klaus Hammerlindl, Thorsten Alisch, den Freax, den Gosejohanns oder Axel Behrends Trashnächten auf dem Hamburger NoBudget-Festival und natürlich den legendären Schwenninger Kurzfilmfestivals in den Neunzigern. Hier kurz zitiert die Handlung von „Der Glanz dieser Tage“, ..“das Schicksal eines Mannes , der auf seine alten Tage noch einmal Priester werden möchte. Und der, um das Versprechen der Ehelosigkeit zu erfüllen, seine Frau anzündet. Die Frau ist schwer entflammbar, aber die Geste zählt: Gott ist von dem Verbrennungsversuch so gerührt, daß er den Mann zur Belohnung verjüngt.“  Der Grund für sein Ansinnen Priester zu werden: „Schon als Siebenjähriger träumte ich davon, einmal von einer Nonne das Frühstück ans Bett gebracht zu bekommen.“

„Der Glanz dieser Tage“: So müssen sich Katholiken ohne Humor die Hölle vorstellen.  Klerikal und humoristisch ist er auf Augenhöhe mit  „Das Leben des Brian“ . Sein zweiter Film „Der Sommer der Liebe“ reflektiert goldene Hippiezeiten in den siebzigern und „Die Reise in Glück“ die Abenteuer von Gustav und Knuffi auf einem Schneckenschiff

Das Buch

Wenzel Storch
Die 70er Jahre waren nicht das Jahrzehnt für junge Nerds.

Und davon und wie alles zustandegekommen ist handelt das „Wenzel Storch“ Buch.  Es beginnt mit seiner Jugend in Hildesheim. In einer Zeit in den siebziger Jahren, in der ein waschechter streng katholisch erzogener Nerd mit Spaghetti-Frisur und dicker Brille eben noch nicht als potentieller SAP-Programmierer sondern eher als potentielle Opfer für Hosenreisser identifiziert wurde.  Das oszillieren zwischen Popkultur (Popfoto-Hefte) und drohender provinzieller geistiger Hirnlähmung. Das musizieren auf Schlesier-Vetriebenentreffen.  So ein Leben kann man nur retten, indem man sich seine eigene Welt erschafft und das nicht nur im Kopf.  Und seine Filme sind genau dies, eine buntes, unterhaltsames, aufregendes Universum, das Wenzel aus seiner Kinderzimmer-Phantasie erschuff und damit Seelen rettete.  Im Buch erfahren wir dazu mehr, auch wie seine Filme entstanden sind und dazu natürlich die vielen vielen  Anekdoten während der oftmals mehrjährigen Dreharbeiten. Liebevoll und kongenial wird das Buch illustriert von seinen Kindheitsschätzen (Ausschnitte aus Otto-Katalogen, Petzi-Büchern) , Film-Stills und Dokus der Dreharbeiten. Alles in allem ist „Wenzel Storch“ das Buch zu den Filmen, das den wundersamen Espirit dieser Produktionen trägt und das auch ohne sie gesehen zu haben lesenswert und unterhaltsam ist.

Wenzel Storch Die Filme Buchcover_250Ich bitte die Plaste-Leser hiermit in aller Form sich das Buch zu kaufen. Es ist nämlich nicht nur toll sondern auch in Großbuchstaben gedruckt.

Ich selbst wünsche mir hiermit eine schöne DVD-Edition von „Der Glanz dieser Tage“ und die Musealisierung und offizielle Anerkennung der Kunst von Wenzel Storch.

P.S. Unangenehm sind mir während des Schreibens meine eigenen Kindheitserlebnisse auf Schlesier-Weihnachtsfeieren aufgestoßen. Ich wurde als Knirps immer auf einen Stuhl gestellt und musste ein Gedicht aufsagen, danach hat ein buckliger Man etwas auf einem Akkordeon gespielt. Ich hoffe ich vergesse das wieder bis zum nächsten Post.

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